Berliner Morgenpost 1997  

Mut zum Widerstand hatten viele DDR-Bürger
"Geschichte der Opposition in der DDR"

von Rainer M. Schubert

Ehrhart Neubert, Theologe, Studentenpfarrer und Bürgerrechtler, heute wissenschaftlicher Mitarbeiter der Berliner Gauck-Behörde nennt sie in seinem "Kompendium des Widerstandes" beim Namen: die vergessenen Helden aus 40 Jahren Opposition in der DDR. Da tauchen Einzelkämpfer, wie Josef Kneifel aus Chemnitz, der am 9. März 1980 mit einer selbst gebastelten Bombe ein sowjetisches Panzerdenkmal "abräumen" wollte, ebenso auf, wie die Namen Jürgen Fuchs, Freya Klier, Bettina Wegner, der Musiker Stephan Krawczyk, Gerulf Pannach und die Klaus Renft-Combo. Bekannte und unbekannte Helden - manche sind heute schon wieder vergessen.  Doch der Widerstand vieler wurde nie bekannt, geschweige denn, gewürdigt. Jeder setzte dem Regime auf seine eigene, ganz spezielle Art zu. In der DDR gab es mehr, als nur den 17. Juni 1953. Das verdeutlicht Neubert auf 950 Seiten in seinem Buch. Ihm muß man für diese Arbeit, die zum ersten Mal einen Gesamtüberblick liefert, danken. Vollständig ist das Werk allerdings noch lange nicht, kann es sicherlich auch nicht sein. Denn: Gegner des Regimes existierten überall in der DDR.

Einen, der Widerstand auf seine Art leistete, den Diplom-Mathematiker und Liedermacher Hartmut Hannaske will ich hier stellvertretend für alle, die man im Buch Neuberts vergeblich sucht, vorstellen. Auch er trug zum Untergang des SED-Regimes durch seine Lieder Gedichte und Texte bei. Hannaske legt ein Liederprogramm "und rosarot ist die Sau" beim "Haus der Kulturarbeit" an der Leipziger Straße vor. Er will als Liedermacher offiziell eingestuft werden. Seine Texte und Lieder allerdings schließen das aus. Aussagen wie: "Man wollte menschlich sein und das Resultat: man hält ein Volk allein durch Mauer und Stacheldraht !" oder "Wer schreit schon lang gegen den Wind ? Ein Volk verkommt, weil seine fähigsten Köpfe mundtot oder ausgebürgert sind !" sind so klar, daß der Direktor des "Hauses der Berliner Kulturarbeit", Genosse Dr. Siegfried Tümmler auf Anweisung der SED und im Zusammenspiel mit dem MfS alles unternimmt, damit Hannaske nicht als Liedermacher zugelassen wird. In einem Bericht schrieb er: "Am 7.12.1988 wurde ich in der Bezirksleitung der SED durch Genossen (unkenntlich) und Genossen (unkenntlich) von den Bedenken informiert, die die Genossen haben. Wir legten fest, die Veranstaltung intern (im Kreis der Liedermacher) zu machen und eine besonders ausgewählte Jury zu benennen. In einem Telefonat am 8.12.1988 wurde mir angeraten, alle Karten dieser Veranstaltung aufzukaufen, was ich veranlaßte." Und weiter: "am 8.12.1988 stimmte ich mich mit den zuständigen Genossen der Bezirksverwaltung ab." So wurde aus Hannaske statt einem offiziell zugelassenen Liedermacher, der operative Vorgang "Wächter" der Abteilung XX/7 mit der Registrationsnummer XX 555/89. Hannaske läßt sich nicht beirren. Auf einem Plakat mit seinem Bild heißt es: "Sei aufrecht oder sei gar nichts !". Bei Stasi-Leutnant Führer läuten die Alarmglocken und er setzt denn auch gleich die IM`s "Ferenc", "Pergamon", "Theo" und "Arndt Preißler" auf Hannaske an und notiert im Bericht vom 28. Februar 1989: "H. ist aufgrund seiner negativen Grundeinstellung in das Blickfeld gegnerischer Kräfte gelangt und wird zielgerichtet als Krawczyk-Nachfolger aufgebaut." Unter dem Kennwort "Kampfreserve 89" werden gleich vier MfS-Mitarbeiter zur "gedeckten Beobachtung" rund um die Uhr eingesetzt. Auch ein Pkw steht den Genossen zur Verfügung, der Lada 1300 mit dem Ostberliner Kennzeichen IN - 34 -25. Am 17. Juni 1989 berichtet IM "Theo": "Hannaske vertritt die Auffassung, der Kommunismus sei das Schlimmste, was es geben kann. Er setzt Kommunismus dem Faschismus gleich. Das resultiert aus der Gleichsetzung Stalins mit Hitler. Die freie Marktwirtschaft des Kapitalismus ist die einzige und gangbare Form, die materiellen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen." Am 13. August 1989 tritt er in der Treptower Bekenntniskirche an der Plesserstraße unter dem Motto auf: "Wenn Abgrenzung zum Prinzip wird". Die Stasi ist wieder vor Ort und notiert fleißig: "In drei Teilen wurden folgende Themen angesprochen: DDR - eine absolute Diktatur, Mittel, mit welchen sie durchgesetzt wird und Gesetze und Verfassung als Mittel der Machterhaltung." Die Zusammenkunft wurde durch die Stasi "als antisozialistisch und gegen die DDR gerichtet" eingeschätzt. Einer der Texte: "Es hörten die Tiere einmal im Streit stolz die lahme Schnecke lallen: ich bin das Symbol für Sicherheit, wer kriecht, der kann nicht fallen." Hannaske ruft zur freien Volksabstimmung auf und ist prinzipiell gegen eine Umgestaltung der DDR.  Er ruft zur Wiedervereinigung Deutschlands auf. Die Ereignisse überschlagen sich im November 89.Die Stasi geht selber in den Untergrund und löst sich später mit vielen Akten auf. Hannaske arbeitet weiter in Kirchenkreisen mit und nimmt wieder kein Blatt vor den Mund. Auf einem Wahlplakat gegen die PDS textet er: "PDS - die ewig Gestrigen. Immer links - immer rot - immer im Kreis läuft der Idiot !". Aktiv gestaltet er zur Bundestagswahl Plakate der PDS für den Kandidaten Stefan Heym um. Statt Stefan Heym steht nun auf dem Plakat: "Geh Heym." Er ist der geblieben, der er immer war: ein Mann der meint, was er sagt, lebt noch in derselben Wohnung, wie zu DDR-Zeiten, hat keine Karriere gemacht. Er steht noch nicht einmal im "Buch des Widerstandes". Der ehemalige Direktor des "Hauses der Kulturarbeit", Dr. Siegfried Tümmler dagegen ist seit der Wende überzeugter Demokrat und leitender Fachbeamter im Bezirksamt Weißensee.  Tümmler wechselte das Parteibuch, die Anrede "Genosse" ist geblieben, er mußte sich nicht umstellen. Hannaske arbeitete als Programmierer und ist seit 3 Monaten wieder arbeitslos.

Die vielen ungenannten Hannaskes in der DDR waren es, die den Sturz der Diktatur bewirkten. Für ihren Mut sollten wir ihnen danken. Den Gegnern Hannaskes von einst sollten wir mit der Wachsamkeit begegnen, die man einem Wolf im Schafspelz entgegenbringen muß.