Der ganz Dumme (Teil 2)

Zusammen mit Werner Pethke bereitete ich den ersehnten großen Auftritt am
13.  August, dem Jahrestag des Mauerbaus, in der Bekenntniskirche vor. Wir hielten es für sinnvoll, meinen Namen vorher nicht zu nennen. Über Sender Glasnost ließ Werner  eine Einladung an den amerikanischen Botschafter verlesen und machte so die Veranstaltung publik, während ich die von uns erstellte Einladung per Fahrrad an alle Berliner Kirchen verteilte.  Außerdem entwarf ich ein neues Plakat mit der Überschrift  "Wer kriecht, der kann nicht fallen !", das Werner unter schwierigen Umständen vervielfältigen ließ.

soziale Sicherheit                    (KA)  

Es hörten, die Tiere,
einmal im Streit
stolz die lahme
Schnecke lallen:
Ich bin das Symbol
für Sicherheit,
wer kriecht,
der kann nicht fallen.

         ***
Freiheit ist immer Risiko,                    (VHKA)
und wenn ein Volk
sie nicht riskiert,
verkommt es wie das Tier im Zoo
und degeneriert.


Die Vervielfältigungsfrage war die Machtfrage in der Opposition, wer  da die besseren Möglichkeiten und Beziehungen hatte, konnte sich über Informationsblätter vermitteln. Wir mußten immer betteln, um an Abzugsapparate heranzukommen. Das Fehlen der am 13. August fest eingeplanten Videokamera sollte aufgrund späterer Reaktion der Kirchenleitung und infolge baldiger Wende zum entscheidenden, nicht wieder gutzumachenden Versäumnis werden. Und dann war es endlich soweit und ich so aufgeregt, daß ich beinahe nicht mehr die am Vortag ausgeliehene 12-saitige Gitarre spielen konnte. Doch ich fing mich wieder und es wurde ein bombastisches Konzert vor fast Tausend Leuten, darunter mein Idealpublikum, die Antragsteller. Nach "Blutbad in Peking" standen alle auf und klatschten minutenlang. Nur die von der Umweltbibliothek besetzte Reihe ärgerte sich über die für sie bestimmten Texte.


Seit dem  Blutbad in Peking                    (KA)

Früher war ich programmiert
vom Verdummungsmanagement,
jetzt bin ich endlich entcodiert,
das heißt Dissident,
für mich ist heut ein Vollidiot,
wer noch gläubig ist,
seit dem Blutbad in Peking
bin ich endlich Realist.

Kurz vor der Jahrtausendwende,
wer kann's begreifen, kann's verstehn,
lassen blutbeschmierte Hände
wieder rote Fahnen wehn,
wird's Volk gezüchtigt und geknebelt,
damit's weiter Sklave ist,
seit dem Blutbad in Peking
bin ich endlich Realist.

Verbrechen nennt's die Welt
und Holocaust,
doch unsere da oben
die geben noch Applaus,
weil das genau
die gleiche Sorte ist,
seit dem Blutbad in Peking
bin ich endlich Realist.

Tote am 4. Juni,
der auch die 17 hat,
Tote an dem Zaun
von dem umzäunten Staat,
jeder weiß doch, was auch hier
noch alles möglich ist,
seit dem Blutbad in Peking
bin ich endlich Realist.

Leider und völlig unnötig hatte Werner Pethke mir die letzte eigentlich lautende Zeile "bin ich Antikommunist" ebenso wie das Wort "Wiedervereinigung" verboten, denn auch so war das Programm von einer derartigen Schärfe, daß mir der völlig überraschte und verängstigte Pfarrer prophezeite, auch in der Kirche keine  Auftrittsgelegenheit mehr zu bekommen. Andere sprachen von sofortiger Verhaftung. Doch diesen Gefallen tat mir die schlaue Stasi nicht. Ich wäre garantiert nicht so dumm gewesen, mich von Leuten wie Schnur und Stolpe zur Ausreise überreden zu lassen, sondern hätte gelassen mit jedem Hafttag meiner wachsenden Popularität entgegengesehen. Seit Gorbatschowscher Perestroika wäre nichts stärkender für die keimende Opposition gewesen als ein länger inhaftierter Dissident. Doch die Taktiker und Paktierer  konnten dies verhindern und wollen heute noch Lob dafür. Angst hatte ich nicht vor Inhaftierung, sondern mehr vor einem denkbaren "Unfall". Die Prophezeihung vom Pfarrer sollte sich allerdings bewahrheiten. Bis zur Wende konnte ich noch dreimal, in Stralsund, in Leipzig  und am 5. Oktober in der Gethsemanekirche auftreten, zweimal davon völlig unplanmäßig, so daß die Kirchenleitung nichts zu verhindern hatte. In Stralsund erwartete mich eine Kirche voller bestellter Buhrufer und ein höherer Kirchenvertreter, der seine Verärgerung über meinen Auftritt und den verantwortlichen Jugendpfarrer nicht verbarg. Unbeeindruckt brachte ich das gleiche Programm wie am 13. August zu Ende. Ich erinnere mich noch, wie wir uns auf der Heimfahrt ständig nach eventuellen Verfolgern umsahen.

Die Kirchenleitung                    (HA)

Und da beten sie und bitten
mit dem Bischof in der Mitten,
anstatt zu sagen: "Jetzt ist Schluß,
wir fordern, statt zu bitten,
ab jetzt, da wird erstritten,
was erstritten werden muß,
wir lassen von der Kanzel lesen,
wie's ist und wie's gewesen,
und wenn dann auch die Kirche schließen muß:

Hier wird belogen und betrogen,
hier regieren Demagogen,
und keiner darf sich wehren
gegen die Falschheit,
die sie lehren.

Hier ist ein Volk umzäunt, ummauert,
bespitzelt und belauert,
unmündig untertan
von Kindesbeinen an.

Wir verkommen und verrosten
wirtschaftlich im ganzen Osten,
nur auf den hohen Posten
kommt man auf seine Kosten.

Die haben, eitel und senil,                                            
nur noch die Macht als Ziel,
ohne Ehre und Gewissen,
weil sie's hier nicht haben müssen.

Geht nicht mehr bittend auf die Knie,
darüber lachen sie,
bekämpft die Diktatur
ob braun oder purpur.

Doch da beten sie und bitten
mit dem Bischof in der Mitten,
anstatt zu sagen: "Wer sind wir,
daß wir hier bitten müssen,
wir wollen es jetzt wissen,
wir halten nicht mehr still,
wer seid denn Ihr,
wir lassen von der Kanzel lesen,
wie's ist und wie's gewesen,
wir sind nicht mehr so klein, wie ihr gedacht
Doch da beten sie und bitten
mit dem Bischof in der Mitten,
wer hat Euch nur so feig gemacht.

(( Stasiakte zum 13. August: "Durch die eingesetzten inoffiziellen Kräfte wurde übereinstimmend die Aussage getroffen, daß H. in seiner Verhöhnung von Erich Honecker, der SED, der Regierung und der Armee der DDR wesentlich deutlicher und schärfer auftrat als Krawczyk."
! Leider fehlen hiernach, wo es nun spannend wird, bis zum 8.10.89 alle Unterlagen in der Akte ))

Nach dem 13. August konnte mich auch die Umweltbibliothek scheinbar nicht mehr übergehen, ihr Medienkontaktmann Siggi Schefke trat an mich heran und kündigte eine Videoaufnahme für das Westfernsehen an, allerdings nur unter der Bedingung, daß er die Textauswahl bestimmt. Das Ziel schien greifbar nahe. Ich träumte schon davon, wie sich bei der Fernsehübertragung des Karnevalsliedes die meisten Leute vor Lachen und der Rest vor Wut krümmen würden.

Karneval GDR                    (HKA)

Refr:         
Karneval GDR
ist hier das ganze Jahr,
und jeder ist Narr
im Karneval GDR.

Faschingsklubs ham wa viel,
viel mehr als in Brasil,
der größte Klub, die Partei,
macht den Umzug im Mai.

Wo der Narr demonstriert,
bunt kostümiert,
Hemd ist blau, Fahne rot,
man macht gern auf Idiot.

In albernen Reden,
veralbert jeder hier jeden,
der größte Narr in der Bütt,
ist der Hans-Dieter Schütt.                              
                           (Chefredakteur der Jungen Welt)

Und aller Orten
steht in roten Worten
auf Plakat oder Tuch
ein blöder Karnevalsspruch.

Karnevalssitzung nenn's
hier Parteikonferenz,
Karnevalsprinz bei der
heißt hier Parteisekretär.

Doch der allergrößte Geck,
das ist der Zettelreinsteck,
das ist jedesmal
die Karnevalleitungswahl.

Ach, wie ham wir gelacht,
als man die Urne aufgemacht,
wer sich in die Kabine traut,
dem wird der Zettel geklaut.

Jeder hat hier sein Kostüm,
jeder hat was Lust'ges anzuziehn,
zum Beispiel die vom Oktoberclub,
die tragen Brett vorm Kopp.

Eine trägt hier Ritterrüstung
mit der Waffe in der Hand,
das ist die eiserne Lady,
Margot genannt.

Damit der Narr, der verwirrt,         
sich auch ja nicht verirrt,
steht die Narrengarde hier
um das Land Spalier.

Narr, ich rate Dir,
durchbrich nicht das Spalier,
sonst schießt man dich mit Schrot
wie schon so viele Narren tot.

Doch was kümmern uns die Toten,
seht die Fahnen wehn, die roten,
und um die tanzen wir
schön brav im Spalier.

Und die Närrinnen und Narren
ziehn den Karnevalskarren,
und mittendrin in der Schar,
da bist Du selber, Du Narr.


Am 5. Oktober in der vollbesetzten Gethsemanekirche, wo übrigens ein Team von Spiegel-TV gegen den Willen der Mahnwachenden filmte, unterbrach mich einer von der Umweltbibliothek mitten im Programm mit der primitiven und provozierenden Frage, was uns das denn weiterbrächte. Daraufhin sagte ich geistesgegenwärtig und in weiser Vorausschau angesichts heutiger IM-Aufdeckung: "Ich begrüße die Mitarbeiter der Staatssicherheit", worauf er von hinter ihm Sitzenden Prügel angedroht bekam und augenblicklich schwieg, wie auch seine schon zu Zwischenrufen ansetzenden Kumpane. Darüber beschwerte sich am Ende Marianne Birthler, ehemalige brandenburgische Bildungsministerin und heutige Grünen-Sprecherin mit der pastoralen Einschlafstimme und Intellektuelle vom Schlage einer Freya Klier. Sie nahm den Genannten in Schutz und erklärte ungefragt ins Mikrofon, daß ihr meine Texte ebenfalls nicht gefielen. Ihr Geschwätz ignorierend, war ich stolz, den garantiert geplanten Störversuch clever abgewehrt und mein Programm bis zum letzten Lied durchgezogen zu haben.

(In Wirklichkeit war das wieder eines von den immer wieder auch innerhalb der Gruppen auftretenden mir damals völlig unverständlichen zermürbendes Negativerlebnis. Noch heute bin ich mir nicht im Klaren, ob dafür IM's und  ausgeklügelte Stasistrategien  oder nur einfach krankgewordene Charaktere in Kirchen- und Bürgerrechtskreisen die Ursache waren.)


Hoffnungsfunken                    (KA)

Ich wünsche, daß der Eisenvorhang
endlich in die Höhe geht,
daß in unsern kleinen Untertanen
Stolz und Würde aufersteht,
daß wir über unsre Feigheit siegen,
denn "frei sein" ist das höchste Gut,
aus nie erloschner Glut.
         
Ich wünsche, daß die oben selbst begreifen,
es ist Zeit  zu gehn,
daß sie vor uns und vor sich selber
wieder grade stehn,
daß sie aufhörn mit dem schlimmen Lügen,
daß nie siegt die blinde Wut,
seht, die Hoffnungsfunken fliegen
aus nie erloschner Glut.

Daß die Systeme sich vereinen
und nicht nur unser Land,
und Ungarn zeigt, daß dies kein Traum mehr ist,
denn dort reicht man sich die Hand,
daß wir mit "friedlich" uns nicht mehr begnügen,
daß zur Freundschaft wächst der Mut,
seht, die Hoffnungsfunken fliegen
aus nie erloschner Glut.

Nur so ist Hoffnung für die dritte,
Hoffnung für die vierte Welt,
und daß unsre alte Mutter Erde
wieder zu uns hält,
daß Ururenkel Kinder kriegen
ohne besondren Mut,
seht, die Hoffnungsfunken fliegen
aus nie erloschner Glut.

Und jeder hier im Kreise
ist so ein Funken im Flug,
der verängstigt die Greise
und ihren Fahnenträgerzug,
weil Brandbekämpfer nicht mehr genügen,
die früher löschten mit Blut,
seht, die Hoffnungsfunken fliegen
aus nie erloschner Glut.

Daß sie entfachen kleine Feuer,
die sich verein' zum Flammenmeer,
daß es blende die Verblender
mit den Parolen groß und leer,
daß es erleuchte die Intrigen
von ehrloser Brut,
seht, die Hoffnungsfunken fliegen
aus nie erloschner Glut.

Am 8.Oktober stellte ich in der Bekenntniskirche im Podium die von mir ins Leben gerufene Initiative "Volksabstimmung" vor, die allerdings nur aus zwei Mann bestand, aus Werner und mir. Schon beim ersten Redner vom Neuen Forum packten urplötzlich wie auf Kommando alle Fernsehteams von ARD, ZDF und SAT 1  die Kameras ein und verschwanden in Richtung Gethsemanekirche, wo sich scheinbar Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten ereigneten. Damit war meine Hoffnung dahin, die "Gruppe" über die Medien populär und damit überhaupt wirksam zu machen. Während alle anderen Gruppen  eine behutsame Veränderung der sozialistischen Gesellschaft und einen Dialog mit der SED vor Augen hatten, strebte ich bei der Wahl 1990 die Niederlage des Systems an. Mit Unverständnis wurde meine Überzeugung aufgenommen, bei geheimer Wahl zur Volkskammer 1990  käme es zu über 50% Gegenstimmen zu dem aufgestellten Block der Kandidaten von SED, Blockparteien und Massenorganisationen. Das dumme und satte Volk wäre noch lange nicht so weit. Ein halbes Jahr später  bei der ersten geheimen  und freien Wahl war dieses Volk  sogar so weit, ein System zu wählen, das ihm 40  Jahre als das volksfeindlichste eingeredet worden ist.  Ich schrieb das Programm Tage später zu einem Konsenspapier um und verteilte es an Bärbel Bohley vom Neuen Forum, Rainer Eppelmann vom Demokratischen Aufbruch, Ibrahim Böhme von der SDP und Carlo Jordan von der zukünftigen grünen Partei.  

Wo kann ich mich denn stolzer fühl'n                    (A)
als hier in diesem Land,
wo alles Mangelware ist,
einschließlich  Würde und Verstand ?
   
Refr.  
Nein, ich geh nicht weg von hier,
denn hier gefällt es mir !

Wo kann ich solche Texte schreiben
voll Härte, Biß und Hohn,
Liedermacher brauchen
Demagogen auf dem Thron.
 
Und bist Du so wie ich,
und hast Du Spaß dabei,
in der Opposition
sind viele Planstellen noch frei.
 
Komm her, Junge, und höre,
mach 'ne Untergrundkarriere,
fünf vor Zwölfe zeigt die Uhr,
Dissidentenkonjunktur.

Am 22. Oktober 1989 trat ich zum letzten Mal mit einem Lied bei einer Veranstaltung mit Pfarrer Eppelmann in der Bekenntniskirche auf:

Vergiß nicht unsre Angst,                    (A)
vergiß nicht unser Leid,
vergiß nicht all die Lügen,
und die lügen auch noch heut,
vergiß nicht Muttertränen
um's  auf der Flucht erschoss'ne Kind,
erschossen auf Befehl von denen,
die sich jetzt drehn mit dem Wind.
 
Refr.:           
Die drehn sich mit dem Wind,
die ohne Ehre sind,
die drehn sich mit dem Wind !
 
Würde der Wind heut anders wehn,
von Peking vielleicht her,
dann wäre ich, dann wären
so viele hier nicht mehr,
die hätten kein Erbarmen,
weil sie erbärmlich sind,
die jetzt rudernd mit den Armen,
sich drehen in den Wind.

Ich will keine Sühne,
in mir da ist kein Haß,
daß sie abgehn von der Bühne,
nur das will ich, nur das,
und daß sie friedlich gehen,
so wie wir friedlich sind,
sie solln sich weiter drehen
und wir machen den Wind.
  
Dann kam der 4. November,wo ich mit einem beidseitig bemalten großen Schild zur Demon- stration auf den Alex ging, auf der einen Seite stand   "4O Jahre SED , 4O Jahre Lüge und Verdummung" und auf der anderen Seite war ein Blinder mit  Blindenbrille und Blindenabzeichen gemalt, darüber die Losung: "SED - Wir sind die führende Kraft mit Durchblick und Weitsicht".  Die Idee hatte ich aus einem meiner Lieder, wegen dem ich 1976  während  meines Mathematikstudiums fast von der TU Dresden geflogen wäre und dessen Ende später lautete.

 
Und die Moral von der Geschicht:                    (HKA)
An den Blindenbinden erkennst Du die Blinden nicht !
Wirkliche Blinde erkennst Du unschwer
am Blindenabzeichen an dem Rever.
 

Alte Genossen beschimpften mich wegen dem  4O-Jahre-Lüge-und-Verdummungs- Spruch, selbst Mitdemonstrierer aus der Arche fanden ihn zu hart, ich hielt den Spruch Schabowski und Marcus Wolf bei ihren Reden vor die Nase und kann mich noch erinnern, wie ich Eckehard Schall vom Berliner Ensemble bei seiner Rede mit "Biermannverräter"  betitelte.
  
Am gleichen Abend war ich bei der Ausformulierung des Gründungsaufrufs der aus der Arche entstehenden grünen Partei zugegen und verhinderte, daß Worte wie "ökologischer Sozialismus" und "Ablehnung der Wiedervereinigung Deutschlands" vorkamen. Später, als in der Bekenntnis-kirche  die  Gründung bekanntgegeben wurde, konnte ich mich einfach nicht entschließen, den Aufruf als Gründungsmitglied zu unterschreiben, denn ich fühlte mich schon aus Apathie gegen die Grünen von drüben bezüglich deren Haltung zur Anerkennung der DDR und gegen die meisten ähnlich denkenden OST-Grünen nicht zu dieser Partei gehörig. Ich glaube, das war mein entscheidender Fehler, denn so habe ich die letzten Beziehungen zu führenden Oppositionellen aufgegeben.

Und dann kam mit dem 9. November und der Maueröffnung die endgültige Wende und mit ihr, so paradox das auch ist, das Aus aller persönlichen Träume. Noch konnte ich darüber ein satirisches Lied schreiben, später sollte mir die Ironie im Halse stecken bleiben.

Tragik eines Liedermachers                    (A)

Daß es sich so schnell wendet,
wer hätte das geahnt,
das Kennzeichen-D-Video,
das war doch schon geplant,
ich war schon in der Blende,
schon im West-TV-Visier,
doch dann kam die Wende,
und kein Schwein guckt mehr nach mir.

Warum hast Du nicht durchgehalten,
Erich, noch ein viertel Jahr
dann wär ich hier im Lande
der Dissidentenliederstar,
vor Neid hätten nasse Hände
Biermann, Krawczyk und die Klier,
doch nu is die Wende,
und kein Schwein guckt mehr nach mir.

Die, die ganz verschüchtert
den Tyrannen neckten,
die ihren Kopf gerade soweit,
wie erlaubt rausstreckten,
die zeigen sich behende
jetzt als die größten Kämpfer hier,
ja das ist die Wende,
und kein Schwein guckt mehr nach mir.

Was hat sich denn gewendet,
die alten Köpfe sind noch dran,
erst, wenn diese rollen,
erst dann fängt die Wende an,
legt nicht in den Schoß die Hände,
sonst wendet sich nichts hier,
vollziehen wir die Wende,
wo ist die Kamera, ich bin hier.

((  Zwei Jahre später habe ich angesichts des Herumjammerns vieler  Ostdeutscher und angesichts des Fehlens einer starken und unabhängigen Ostgewerkschaft, des von mir gesehenen Hauptmangels des Wiedervereinigungsprozeßes, und in der Hoffnung, doch noch mal irgendwo aufzutreten, die letzte Strophe neu geschrieben:

Das Blatt hat sich gewendet
ohne einen Tropfen Blut,
darüber müssen alle froh sein,
geht's jetzt vielen auch nicht gut.
Damit es nicht so bleibt am Ende,
nehmt endlich, was Euch zusteht hier,
niemand legt's in Eure Hände,
und kein Schwein guckt mehr nach mir.                ))

Ich sagte alle in der Provinz geplanten Auftritte ab. Meine Texte schienen mir überholt, außerdem fehlten die  Antragsteller mit Auto, die mich und meine Anlage für eine zügige Ausreise gern transportierten. Ich ging kaum noch zum donnerstäglichen Arche-Treffpunkt. Da, wo andere wie Frau  Jugendministerin Merkel anfingen, hörte ich auf. Ich habe das bis heute nicht verstanden und mir später deswegen immer wieder  Vorwürfe gemacht. Wann sonst, als bei einer Revolution, kommt im Leben schon mal die Chance, von ganz unten nach ganz oben zu kommen. Aber damals war ich wie gelähmt,  stand ich außerhalb des pulsierenden Lebens, unfähig, aktiv zu werden.

Draußen

Ich war im Spiel,
kurz vor dem Ziel,
kurz vorm Gewinn,
jetzt bin ich nicht mehr drin.

Alle um mich streben,
finden ihren Sinn,
nur ich steh daneben,
ich bin nicht mehr drin.

Wie ihr setzt und Euch hetzt,
ich schau von draußen zu,
ab und zu fliegt einer raus,
morgen  vielleicht Du.

Zum 13. November schrieb ich anläßlich des 200. Jahrestages der französischen Revolution meinen letzten Text zum Thema "Religion und Revolution", ich habe bis danach nichts mehr verfaßt oder vorgetragen. Ich las den Text in der durch die Maueröffnung nur spärlich besuchten Gethsemanekirche.

Revolution und Religion

Menschlicher Fortschritt ist undenkbar
ohne Träume und Ideale,
ohne Träumer und Idealisten.
Aber wehe Dir, Volk,
wenn Träumer und Idealisten
Macht über Dich bekommen,
wehe Dir, Volk,
wenn sie ihre Heilslehre
zur Staatsreligion erheben.

Dann werden Träume zu Alpträumen,
Ideale zu Folterwerkzeug und Scheiterhaufen,
zu Galgen und Fallbeil,
zu Massenmord und Blutbad,
verwandeln sich in Lüge und Demagogie,
in Mauer und Stacheldraht,
in Minenfeld und Selbstschußanlage.

Dann gibt es kein Verbrechen,
was nicht in Deinem Namen, Volk,
an Dir begangen wird.

Menschlicher Fortschritt ist undenkbar
ohne Träume und Ideale,
ohne Träumer und Idealisten,
aber gib ihnen niemals alle Macht über Dich,
sie werden sie mißbrauchen.

Und sollte man Dir
das Himmelreich auf Erden versprechen,
duld keinen Gott mehr über Dir,
außer dem, der in Dir ist.

Der Aufruf von Stefan Heym und Christa Wolf "Für unser Land" holte mich noch einmal aus meiner immer schlimmer werdenden Lethargie. Erbost über derart große Einfalt schrieb ich einen Gegenaufruf:
                    
"Für ein Deutschland, für ein Europa, für eine Welt"

Was Verbrechen
und Dummheit getrennt,
muß Moral und Vernunft
wieder vereinen.

Ich schaute mir die Programme aller Gruppierungen an, keine trat für die Wiedervereinigung ein, auch nicht Eppelmanns Demokratischer Aufbruch, dessen Ziel einer "sozialistischen Gesellschaftsordnung auf demokratischer Basis" auf Flugblättern zu lesen war. Ich kann mich noch an ein Ende Oktober geführtes lautes Streitgespräch erinnern, bei dem ein Mitglied des DA-Vorstandes jeden Gedanken an die Wiedervereinigung kategorisch und empört ablehnte. Deshalb reifte in mir Ende November der Entschluß, zusammen  mit Andreas Passarge von der Arche eine eigene Partei zur Wiedervereinigung Deutschlands, die PWD, auf die Beine zu stellen. Er versprach, Gegenaufruf und andere Schreiben zu vervielfältigen, verschob den Termin wieder und wieder, und tat es dann doch nicht, wahrscheinlich aus Angst vor der Meinung bisheriger grüner Mitstreiter. Das gab mir den Rest. Mit einer schweren Gürtelrosenkrankheit  verfolgte ich bis Januar vom Bett aus  die Aktivitäten des  runden Tisches. Ich war nicht dabei, dafür voller Depressionen.

Der Traum war zerbrochen, doch wenn ich hoffte, mein Engagement würde sich doch noch irgendwie auszahlen, so sollte ich mich entgegen bisheriger Weitsicht irren.(Im  Sommer  89  hatte  ich  um 5 Kästen  Sekt  gewettet, daß  die  Wiedervereinigung  in zwei  Jahren  vollzogen  ist  und  bin  dafür  von  allen  Anwesenden  ausgelacht  worden.  Hätte  ich man  lieber  meiner  Mutter  in  Schlagsdorf,  die  in  ihrer  Überängstlichkeit  Texte  von  mir  im Hühnerstall   versteckt  hielt,  den  Rat   gegeben,  mit  dem  Verkauf  ihres  Hauses  mit  Grundstück  zu  warten. "Genies"  sind  nicht  praktisch.)
Doch ohne diese Weitsicht ginge es mir wahrscheinlich wesentlich besser, wäre ich angesichts meiner diplomatischen Unfähigkeit nicht überall angeeckt, hätte ich jetzt, Anfang 1990 eine politische Heimat.

Doch so: Weder wollte ich zu den aus der Opposition entstandenen die Wiedervereinigung ablehnenden Vereinigungen noch zu den Blockflöten von der CDU unter  de Maiziere. Nichts hatte das Volk nach dem nuschelnden Honecker weniger verdient als einen lispelnden Anwalt mit der Ausstrahlung einer Null. Auch ich gehöre wegen zu schnellen Redens, entsprechend schlechter Artikulation und dazu noch übergroßer , blockierender Aufgeregtheit  bei öffentlicher,  freier Rede nicht gerade zu den rhetorischen Talenten, ein einstudierter Auftritt ist da etwas völlig anderes, aber ich käme auch nicht auf die Idee, ein Spitzenamt zu übernehmen, wo freies, brillantes Reden zur Berufsvoraussetzung gehört und wo jeder diesbezüglich gehandikapte Mensch seine Grenzen erkennend  beratend in den Hintergrund treten sollte. Ein gemeiner Mensch könnte auf die Idee kommen, die Aufstellung von IM "Czerny"  als CDU-Spitzenkandidat war ein genialer, aber trotzdem mißlungener Schachzug der Stasi, den Wahlerfolg der Allianz für Deutschland und damit die schnelle Wiedervereinigung zu verhindern. Bundeskanzler Helmut Kohl, der trotz der in Oppositionskreisen weiten Ablehnung seiner Person  (die Dummen sprachen immer vom dummen Kohl)  und trotz der gegensteuernden Stasi die umgehende Vereinigung Deutschlands mittels der ehemaligen Blockparteien durchsetzte, hat sich den zugesprochenen Staatskunstpreis redlich verdient.  Und ich ?  Nicht  die winzigste öffentliche anerkennende Namensnennung.  

Jeder kennt die  in der Sonne,
jeder unterm Himmelblau,
jeder  auf der großen Wiese,
nur mich kennt keine Sau !

Nachdem auch auf meine neue Offerte "Hannaske an die Macht !" mit dem Slogan "Vereinigung ist schön, Wiedervereinigung ist schöner !" nicht einer der im Dezember angeschriebenen Ostberliner Klubs reagierte, kein Wunder bei den links eingestellten Klubleitern, bemerkte ich plötzlich, daß ich, vernarrt in den Traum, wie Biermann gekannt zu werden, meinen Beruf aufgegeben hatte, die letzte Anstellung als Halbtagsverkäufer in einem Buchladen beendet und mit den bei mir zur Untermiete wohnenden Bauarbeitern die letzte Einnahmequelle verschwunden war. Gerade ich hätte auf eine aus meinem oppositionellen Engagement resultierende Anstellung hinsteuern müssen. Plötzlich war aus dem "Traum vom Ruhm" Existenzangst geworden.

Auf einen Hinweis versuchte ich ins Kommitee zur Stasiauflösung zu kommen, wegen Planstellenbeschränkung zwei Wochen zu spät, so teilte es mir jedenfalls Rainhard Schult als dafür Zuständiger mit. Alle Anstrengungen, in meinen Beruf als Informatiker zurückzukehren, scheiterten am überall erlassenen Einstellungsstop. Ich war verzweifelt und wurde mehr und mehr depressiv.

Zwischendurch erregte ich mich über die wirren Reden von Uhlmann und  Weiß in der Volkskammer und schrieb noch einen Artikel zum Ergebnis der Volkskammer-wahlen, die meinen Glauben bestätigten, daß das Volk in seiner Gesamtheit klüger ist als obige Intellektuelle, die endlich die verdiente Quittung für ihr Versagen erhalten hatten. Und wenn ich diesen Artikel mit der Überschrift "Ich bin stolz auf unser Volk" versah, so war das keine Übertreibung sondern ehrliches und angesichts diverser schlimmer Verhältnisse und Verhaltensweisen  in Rußland und den anderen osteuropäischen Ländern nach deren politischen Wenden und entgegen aller überaus dummen Sprüche zum angeblich dummen Wahlverhalten der Ostdeutschen auch ein völlig unstreitbar  berechtigtes Gefühl. Wer heute noch die schnelle Wiedervereinigung in Frage stellt,  der ist der Rede nicht mehr wert.

Schließlich bekam ich über eine Beschwerde wegen des nicht zum Leben reichenden Arbeitslosengeldes beim Arbeitsamt von diesem eine Stellung angeboten, die ich natürlich annahm. Da saß der Bürgerrechtler neben  einem ehemaligen Bürgermeister, einem SED-Kulturfunktionär und einem Leiter der Nationalen Front. Die ganze SED-Clique hatte sich scheinbar ins Arbeitsamt abgeseilt, überall
PDS- Anhänger, die von mir und meinem damaligen Lieblingsspruch, den ich ab und zu  bei öffentlichen Aktionen der PDS und ähnlich denkenden Organisationen wie zum Beispiel bei der Mahnwache am inzwischen abgerissenen Lenindenkmal verteilt habe, wenig begeistert waren.

Immer links,
immer rot,
immer im Kreis
läuft der Idiot !

Angesichts  vermehrt auftretender rechter Gesinnung habe ich ihn später  komplettiert:

Immer  rechtsschwenk  marsch
läuft im Kreis der Arsch  !
                  
Am besten läßt sich das Gros der Angestellten im Arbeitsamt durch  eine Personal-versammlung beschreiben, bei der ich den Personalrat bat, kurz den beruflichen und politischen Werdegang seiner Mitglieder vor der Wende zu skizzieren. Dies wurde dreist und unter dem Beifall der Belegschaft abgelehnt, ebenso wie man mein Befremden über die Haltung des Personalrates zur Kündigung hauptamtlicher Stasimitarbeiter mit allgemeiner Zustimmung zurückgwies. Im Juni 1991 freute ich mich über die längst fällige Ersetzung meines Abteilungsleiters und ehemaligen DDR-Arbeitsamtsdirektors durch einen Westbeamten, der mich zum Dank dafür in unbeschreiblicher Arroganz und ohne Angabe von Gründen von meinem gerade gegen alle Intrigen der Genossen erkämpften kleinen Leitungsposten absetzte. Alle Beschwerden  beim Landesarbeitsamt und in Nürnberg mit Hinweis auf SED- und Stasi-Seilschaften  blieben  erfolglos.

Die Sonne ist schwarz,
der Himmel ist schwarz,
die Wiese ist schwarz,
die Sau ist schwarz.
 
Auch die letzte Hoffnung, die Gauckbehörde, erwies sich als trügerisch. Von Zehntausend Bewerbungen ging eine verloren, meine, obwohl sie aus einem Dutzend Seiten und einer Kassette bestand und perönlich abgegeben wurde. Sie ist bis heute nicht aufgetaucht. Der Personalchef hielt mich monatelang hin  bis er mir unvermutet nach einem dreiviertel Jahr ohne ein Bewerbungsgespräch meine Nichteignung mitteilte. Jemand sagte mir, Bürgerrechtler haben keine Chance und daß die Gauckbehörde durch Gerichtsbeschluß verpflichtet sei, vorrangig ehemalige Beschäftigte aus dem DDR-Staatsdienst einzustellen.  (Inzwischen habe ich anderthalb Jahre nach Einsicht in meine Stasiakte statt der innerhalb dreier Monate zugesagten Zusendung der IM-Klarnamen ein Schreiben mit  folgendem Witz erhalten:
"Eine zweifelsfreie Feststellung der Personen, die unter dem Decknamen "Ferenc", "Pergamon", "Theo", "Arno Preißler (Arndt Preißler)", "Herz" und "Linde" geführt wurden,  ist aufgrund des derzeit  vorhandenen und erschlossenen Bestandes nicht möglich. Die Ermittlung des Klarnamens von "Max" ist noch nicht abgeschlossen."   Der Klarname von "Max", stand schon 1990  im Spiegel.  Jetzt  haben  wir 94.  Ein Narr, wer an nichts Schlimmes denkt.)

Nachträgliches Opfer von SED und Stasi mit Hilfe bornierter Westbeamter, symptomatisches Schicksal für Menschen mit Charakter in der Nachwendegesellschaft ? Ich werde mich hüten, meinen sicher auch durch eigene  Ungeschicktheit verursachten Mißerfolg zu verallgemeinern. Es scheint mir aber, daß sich Charakterlose blind finden, oder sollte man langsam beginnen, von den Cleveren zu sprechen. Welch Glück, daß man dank der Stasiunterlagen wenigstens einigen derartige Karriere versauen kann.
 
Wer einmal schloß den Teufelspakt,
der kommt so schnell nicht frei,
wer mitgemacht, hat mitgemacht,
wer mit dabei war, der war mit dabei,
wir woll'n da oben keine clev'ren Köpfe,
die sich windig drehn,
macht auf die Jackenknöpfe,
wir woll'n die weißen Westen sehn !

Nachdem ich  entgegen aller  Ratschläge dem Arbeitsamt  gekündigt  habe, um nach einer anderthalbjährigen Fortbildung in meinem Beruf als Informatiker letztlich  doch ohne Chancen auf eine Anstellung dazustehen, kann ich mich mehr und mehr des Eindrucks nicht erwehren, meines Vaters einleitend genannter Lebensmaxime wenig Beachtung geschenkt zu haben. Doch andererseits waren es ja gerade kritisch denkende Menschen wie mein lauter Vater oder mein nervöser Geschichtslehrer Gerhard Gunia an der Gubener Oberschule, der 1968 wegen des uns bei einer Klassenfahrt  erlaubten Hörens von  Westmeldungen zum Einmarsch des Ostblocks  in die Tschecheslowakei aus Partei und Schule geworfen wurde, deren Unruhe und  Unzufriedenheit sich übertrugen und letztlich ein Mitlaufen nicht zuließen, aber eben auch nicht das für den normalen beruflichen Erfolg notwendige Anpassen und Unterordnen, so daß mir heute wieder wie damals nur  die Alternative zwischen Alles oder Nichts, zwischen dem Mut zum ganz großen Erfolg und ewiger lebensbedrohlicher Unzufriedenheit bleibt. Ich habe lange gebraucht, dies zu akzeptieren und noch mal so lange, um mich zu entschließen, abrechnend meine glorreiche Vergangenheit zu dokumentieren als eine notwendige Hilfe für den ganz Dummen, wieder auf dem Weg nach oben.


Resümee

Wärm Dich an der gelben Sonne,
schau verträumt ins Himmelblau,
streichele die grüne Wiese,
doch wirf nie Perlen vor die Sau !



(H) Text  aus  den 1988 erstellten und Anfang 1989 an Kirche und Bürgerrechtsgruppen zwecks
               Auftrittsmöglichkeiten verteilten 180-Minuten-Kassetten "Die Herabwürdigung"
(K) Text  aus Konzert vom 13. August 1989  in der Bekenntniskirche
(A) Text  auf  beiliegender Kassette oder CD (falls (K)- Konzertmitschnitt)
(V) Text  aus "Ein Volk  verkommt"